DER SPASS AN DER SACHE
Geschrieben von: Prof. Dr. Julia Kiesler Prof. Frank Schubert
Wie wir uns präsentieren, Kontakt aufnehmen, Ideen zur Debatte stellen
und diskutieren, wie wir in unserer Arbeitswelt einander begegnen und uns
wahrnehmen, bestimmt unsere Wirksamkeit, weil es massgeblich darauf ankommt,
wirklich gehört und gesehen zu werden. Wie wir kommunizieren, kann
matchentscheidend sein. „Man kann nicht nicht kommunizieren.“ Dieser
einfache Satz hat den Kommunikationswissenschaftler und Philosophen Paul
Watzlawick berühmt gemacht.
Ein Nachdenken von Frank Schubert
Ich komme aus dem Theaterbereich. Wir sind auf ensemblefähige Solisten angewiesen und auf Arbeitsbedingungen, die ein Höchstmass an Kreativität ermöglichen. Aber noch viel früher als viele Theaterbetriebe haben wesentliche Bereiche der Wirtschaft, Forschung und der Bildung begonnen, sich von den anachronistisch anmutenden Arbeitsstrukturen des 19. Und 20. Jahrhunderts zu lösen. Der Regisseur und Produzent Stephan Lichtensteiger beobachtet: „Menschen bewegen sich heute in einem ganz anderen Feld als wir vor zwanzig, dreißig Jahren. Der Rahmen der Konventionen ist viel offener, das Theater ist hybrider geworden, es gibt auch ganz andere Möglichkeiten der Vernetzung und Präsentation. Ich sehe eine Formenvielfalt und gestalterische Möglichkeiten, die ich früher nicht kannte.“1 Das verlangt ein Überdenken von Leitungs- und Arbeitsstrukturen und Menschen vieler Berufsgruppen stecken heute mitten in diesen Prozessen. Wir wissen, dass es mitunter auch schwierig sein kann, innerhalb der Vielfalt eine Position zu finden. Vielfalt kann verwirren. Wir wissen aber auch, dass wir in einem Spannungsfeld zwischen Theorie, Praxis und Experiment eigene Orientierungspunkte entwickeln können. Immer vorausgesetzt, dass wir in Verbindung mit der Gesellschaft bleiben, dessen Teil wir sind.
Organisation ohne Organisator
Schwarmintelligenz im Tierreich funktioniert nicht über Superfische oder über die Kunstflieger unter den Staren. Die Masse an Individuen ist dafür einfach zu gross. Anders als das Rudel, kennt der Schwarm darum keinen Anführer. Der Schwarm als solcher erkennt den schützenden Schatten im Riff, zu dem ein Raubfisch kaum Zugang hat und die Stare finden sich scheinbar führungslos in Kreisflügen nah über dem Boden, ehe zig Tausende sich gleichzeitig in den Himmel erheben und einen perfekten Start für den Flug in den Süden hinlegen, ohne sich auch nur zu berühren. Eine Hierarchie in der Führung wäre viel zu langsam und für das Überleben aller ein Desaster. Das Handeln im Schwarm bedeutet aber nicht nur Schutz, sondern auch stetigen Informationsfluss. Kein Individuum eines Schwarms überschaut das grosse Ganze, es entscheidet individuell auf Basis von Informationen, die sich im Schwarm kontinuierlich ausbreiten. Dennoch, oder gerade deshalb, kommt es in kürzester Zeit zu Entscheidungen, die vom ganzen Schwarm getragen werden. Das funktioniert unglaublich effizient.2
Schwarmintelligenz. Gemeinsam denken ohne individuelle Kompromisse.
Für die Entdeckung des Atomkerns brauchte Ernest Rutherford 1911 zwei Mitarbeiter. Heute ist Forschung Arbeit von teils riesigen Kollektiven, die sich aus zig Teams zusammensetzen. Die Kommunikation innerhalb der Teams muss ebenso funktionieren, wie die zwischen den einzelnen Teams. Stetiger Informationsfluss und zeitnahe Entscheidungen werden zu qualitätsentscheidenden Aspekten.
Im CERN, dem grössten Zentrum für physikalische Grundlagenforschung der Welt, arbeiten Forschende aus 23 Staaten zusammen. Über 3400 Mitarbeiter werfen ihr Können und Wissen in einen gemeinsamen Topf, um zu erkennen, „was die Welt im Innersten zusammenhält“3, wie es Goethes Faust formuliert. Aber Faust war allein in seiner Begierde nach Wissen und er war auch in seiner Unzufriedenheit allein. Da verbündete er sich mit dem Teufel und zerstörte nicht nur das Leben eines unschuldigen Mädchens.
Die vielen unterschiedlichen Forschenden am CERN arbeiten ohne direkte Aufsicht zusammen und den Teams steht es frei, wie sie arbeiten wollen. In vielen Bereichen der modernen Grundlagenforschung funktioniert ein solches Managementmodell. Es fördert Kreativität und Produktivität. Es baut auf individuelle Initiative und Selbstverantwortung. Am CERN setzt man zentral auf das Interesse aller, ein Experiment zu einem erfolgreichen Abschluss zu führen. Damit das tatsächlich funktionieren kann, suchte man ab 1989 nach einem Instrument, das einen stetigen Informationsfluss zwischen allen Beteiligten garantiert. Quasi als Nebenprodukt wurde das World Wide Web am CERN erfunden und gratis der Welt zur Verfügung gestellt.
Heute finden wir „des Pudels Kern“, um eine weitere Metapher aus dem “Faust“ zu benutzen, nicht in einem Pakt mit dem Teufel, sondern in einem positiven Mindset, einer hohen Selbstwirksamkeit, der Kraft des Kollektivs und in einem stetigen Informationsfluss. Kollektive Intelligenz, Kreativität und Kondition sind zu wecken und zu nutzen. Das zeigt nicht nur ein Blick auf die Arbeitsweisen am CERN. Die Frage ist nur WIE.
Tun, „was ich wirklich, wirklich will“.
„Mit steigender Produktivität und mit der höheren Effizienz der menschlichen Arbeit werden wir einmal in eine Phase der Entwicklung kommen, in der wir uns fragen müssen, was denn eigentlich kostbarer oder wertvoller ist: noch mehr zu arbeiten oder ein bequemeres, schöneres und freieres Leben zu führen, dabei vielleicht bewusst auf manchen güterwirtschaftlichen Genuss verzichten zu wollen.“4 Das hat kein Ökoaktivist gesagt. Das sagte Ludwig Erhard, der „Vater des deutschen Wirtschaftswunders“ und der sozialen Marktwirtschaft, schon 1957.
Man könnte meinen, dass Ludwig Erhard und der New-Work-Urvater Frithjof Bergmann sich gut verstanden hätten. Letzterem war schnell klar, dass ein Obstkorb im Büro nicht reicht, um das Betriebsklima und damit die Produktivität zu heben. „Die Frage ist, was ist es, was ich wirklich, wirklich will?“5 Und das hat nichts mit Spass zu tun. Der Begriff fasst nicht annähernd die Dimension. Ein guter Freund von mir, er ist ein grossartiger Musiker und Dirigent, kann bei diesem Thema richtig emotional werden. Warum sollte es immer Spass machen, wenn man Musik macht? Spass. Spassgesellschaft. Schrecklich. Das Üben macht eben nicht immer Spass. Natürlich nicht. Und doch würde er niemals einen anderen Beruf haben wollen. Warum? Weil er weiss was er will. Das ist es! Und Frithjof Bergmann war klar, dass in der gängigen Arbeitsphilosophie genau das zu oft fehlt. Man würde denken, «die meisten Menschen wüssten genau, was sie wollen, streben danach, erreichen es aber nicht. Aus meiner Sicht ist das falsch: Dass man sich nicht eingesteht, dass die meisten Menschen natürlich keine Ahnung haben, was sie wirklich wollen. Sie sind arm an Begierde.»6 Und genau um diese geht es. Begierde. Sie wird vor allem durch Arbeitsbedingungen und gemeinsame Zielformulierungen geweckt, nicht nur durch die Arbeitsgegenstände. Es geht darum, die eigene Berufung zu finden, Sinn und Zweck der Arbeit zu begreifen und daraus eine Motivation zu ziehen, die nachhaltig verankert ist. Es geht um den Purpose. Und dieser schliesst heute sinngebend auch eine ökologische und soziale Verantwortung mit ein.
«Nunc stans» oder der Moment, an dem die Zeit anhält.
Wir begreifen uns als kollektive Wesen. Wir wollen im Team wirksam werden, damit dieses erfolgreich ist und bleibt. Wollen wir das wirklich, haben wir bei unserer individuellen Selbstwirksamkeit zu beginnen. Und damit ist bestimmt kein hippes Self-Tracking gemeint, bei dem unfassbare Datenmengen festgehalten, verbreitet, geteilt, gepostet und zerredet werden. Schwarmintelligenz kann schnell zu Schwarmdummheit werden. Nichts gegen geistige oder körperliche Fitness, aber auch dieser Trend folgt nur überkommenen Mustern: Höher, schneller, weiter. Weil ein solcher Trend keine Lösung sein kann, möchte ich einen weiteren Gedanken ausführen, der noch eine etwas andere Perspektive auf den Gegenstand meiner Überlegungen eröffnet.
Eine Studentin hat sich in einem Projekt mit dem „Nunc stans“ beschäftigt.7 Der Begriff aus der Philosophie soll die Ewigkeit beschreiben. Sie suchte diesen einen Moment, in dem die Zeit anhält, um in die Tiefe zu kommen – einen Moment, den wir vielleicht in ungewöhnlichen Situationen erlebt haben: bei einer Hochzeit, der Geburt eines Kindes oder dem Todesfall eines geliebten Menschen. Die Studentin nennt es einen göttlichen Moment. Aber es geht auch kleiner. Wir suchen den „Nunc stans“, das Stehenbleiben, um zu einer Art von Bestandsaufnahme zu kommen. Es ist der Moment, in dem vertiefte Wahrnehmung beginnt.
Das Schöne am angesprochenen Projekt war seine Einfachheit. Sie schaffte unterschiedliche Räume, die sie zu ausgesuchten Weinen entwickelte, die wir Besucher dann auch mit anderen Anwesenden in diesen Räumen geniessen konnten. Sie schaffte einen Rahmen, in dem Gedanken entstehen konnten, die wir im rasenden Alltag kaum denken können. Der Kern dieses poetischen Projekts ist ganz rational zu beschreiben. Sie schaffte Räume, in denen sich die Fantasien unterschiedlicher Menschen begegnen konnten. Sie schaffte schlicht die Voraussetzung für vertiefte Kommunikation als Voraussetzung für kreatives Handeln
Experimentieren im straffreien Raum der Bühne.
Und jetzt komme ich zum eigentlichen Knackpunkt. Es kann die besten Arbeitsbedingungen geben, fortschrittliche Strukturen und interessant zusammengesetzte Teams, nichts wird tragfähig sein, wenn dies nicht jedes einzelne Teammitglied zu nutzen weiss. Die Voraussetzungen dafür sind im straffreien Raum der Bühne bestens trainierbar. Hier ist alles möglich, hier kann alles, aber auch wirklich alles ausprobiert werden, ohne an Leib und Seele Schaden zu nehmen, auch wenn vieles schief gehen sollte. Hier kann ich alle kommunikativen Aspekte trainieren, die mit einer scharfen Wahrnehmung und nachhaltiger Selbstwirksamkeit zu tun haben.
Kommunikation. Die verbesserungswürdigen Aspekte sind Legion.
Präsentiert jemand in einem Team eine neue Idee, hat man mitunter den Eindruck, er würde sich schon mit den ersten Worten gegen Skeptiker wehren müssen. Eine offene Kommunikation beruht auf dem Vertrauen in eine wertungsfreie Wahrnehmung aller. Und die Erfahrung lehrt, dass man auf eine solche nicht immer bauen kann.
Hören wir einem Politiker, einem Pfarrer oder einem Dozenten zu, hat man oft das Gefühl, nicht wirklich gemeint zu sein. Es wird anstrengend, der Rede zu folgen und vieles von den Inhalten geht unweigerlich verloren. Das muss nicht an den Inhalten liegen.
Nach einer Präsentation sind Sie durchaus mit sich zufrieden. Aber es war anstrengend die Spannung zu halten und dafür zu sorgen, dass die Leute wirklich dranbleiben.
Vielleicht haben Sie manchmal Lampenfiber, die Stimme ist belegt und die Hände sind feucht, eventuell sind Sie sich ihrer Sache noch nicht wirklich sicher, wollen aber ihr Publikum davon überzeugen, in eine Idee einzusteigen, um diese gemeinsam weiterentwickeln zu können. Vielleicht spüren Sie, dass bei einem Vortrag Ihre Stimme nicht wirklich trägt. Eventuell verunsichern Sie überraschende Wendungen in einer Gesprächssituation oder Sie denken, Auftritte sind einfach nicht „ihr Ding“. Kennen Sie das Gefühl, dass Sie eine wirklich gute Idee haben, aber wenn Sie sie aussprechen, klingt sie in den eigenen Ohren klein und banal? Es gibt so unendlich viele Aspekte, die unsere Wirksamkeit immer wieder schmälern.
Egal was Ihnen gesellschaftlich oder in der Arbeitswelt begegnet, es findet in einem konkreten Raum statt, mit konkreten Menschen um Sie herum und Sie haben nur ihren Körper und Ihre Stimme zur Verfügung.
Im Mannschaftssport wird nicht nur die Fitness trainiert, sondern auch die verschiedensten Kombinationen, Wendungen, Standartsituationen und vor allem anderen eine scharfe Wahrnehmung. Im Schauspiel sagen wir, dass der Körper unser „Instrument“ ist. Können wir mit unserem „Instrument“ nicht umgehen, nützt der beste Text und die beste Spielidee absolut nichts. Wir wissen, wie der Körper „spricht“. Das Schwierige dabei ist nur, dass es keine universellen Rezepte gibt. Gäbe es sie, könnte jeder Mensch gross auf der Bühne werden. Dem ist nicht so. Aber jeder Mensch kann seine individuellen Ausdrucksmittel kennenlernen und trainieren. Kein Schauspieler würde auf die Idee kommen, ohne Proben den Hamlet zu spielen und keine Schauspielerin kann, ohne die Stimme zu trainieren die Menschen in der zehnten Reihe erreichen. Warum glauben so viele Menschen ausserhalb des Theaters, dass sie ausschliesslich mit ihren Inhalten trumpfen können und sind dann überrascht, dass sie nicht wirklich gehört und gesehen werden? Und als Folge können am Ende auch noch Zweifel an den eigenen Ideen aufkommen.
Wir alle nutzen durch gesellschaftliche Normen bedingte Ausdrucksmuster. Sie helfen bei der Verständigung. Doch oft führen diese Muster auch dazu, dass die eigene Ausdruckskraft kaum zum Tragen kommt.
Im Grundlagenseminar der Schauspielausbildung schaffen wir quasi Laborbedingungen, in denen sich die Studierenden aus zementierten Verhaltensmustern herausbegeben und Wege zu den eigenen Ausdrucksmöglichkeiten finden. Jeder Mensch hat jenseits der antrainierten Muster einen ganz eigenen Ausdruck in Körpersprache und Stimme. Den gilt es zu finden. Viele Frauen sprechen zu hoch, viele Männer gehen mit einem zu festen Schultergürtel durch die Welt. Dem Körper fehlt die Erdung und die Sprache kommt nicht aus dem körperlichen Zentrum. Schimpft eine Mutter mit ihren Kindern, rutscht die Stimme oft nach oben. Sie merkt nicht, dass sie genau dadurch an Respekt verliert. Vergleichbares können wir in mancher hochengagierten Politikerrede beobachten. Es gab Zeiten, da sah man keinen Politiker mit Händen in den Taschen. Dann war es Mode, lässig eine Hand in der Hosentasche zu tragen. Später scheute man sich nicht, beide Hände in die Taschen zu stecken. Die Geste wurde zum Ausdruck von Lässigkeit und Souveränität. Andere Männer laufen mit „Rasierklingen unter den Armen“ herum und Frauen machen, einer ungeschriebenen Norm folgend, viel zu kleine Schritte und heute mischen sich die Klischees quer durch die Geschlechterwelt, was diese meist unbewusst angenommenen Normen nicht besser machen. Sie bleiben Masken, die die eigene Persönlichkeit verdecken und die individuelle Ausdruckskraft schwächen.
Durchlässigkeit im Körper schafft Vertrauen und eine Stimme aus dem Zentrum kann einen Raum ohne jede Anstrengung füllen. Das Spiel der Hände verrät, wer unsicher ist und ein dem Inhalt und der Persönlichkeit entsprechender Sprechrhythmus in der richtigen Stimmlage führt dazu, wirklich gehört zu werden. Alle Aspekte, die die Ausdruckkraft verbessern sind trainierbar. Es bedarf dazu keinerlei Zauberei. Es braucht nur etwas Zeit, Willenskraft und Geduld für die Spiele und Übungen, die im straffreien Raum der Trainings meist Lust auf mehr machen.
Ein möglicher Weg aus Mustern und Masken.
Das schauspielerische Grundlagenseminar kennt die Übungen, die die Wahrnehmung schulen, festgefügte Verhaltensmuster aufbrechen und die Frage stellen, was meine Persönlichkeit wirklich auszeichnet. Und es geht um den Transfer der persönlichen Ausdrucksmittel in die Art und Weise, wie wir Kontakt mit anderen aufnehmen und unterschiedliche Inhalte differenziert vermitteln können.
Ich glaube an die Kraft des Teams. Immer und überall. Im Spannungsverhältnis zwischen dem ICH (Selbst-Bewusstsein), dem WIR (Partner-Bewusstsein) und dem ES (Sach-Bewusstsein) sollten wir kontinuierlich unsere Wahrnehmung trainieren, speziell die geteilte Wahrnehmung, denn selten treffen sich in einem Team nur zwei Menschen. Eine meiner Studentinnen stellte nach einem Ensembleprojekt fest: „Ich habe nicht das Gefühl, durch dieses Gruppen- oder Ensembleding Freiheit einbüßen zu müssen. Die Freiheit, die ich mir nehmen möchte, kann sehr gut in diesem Gruppenverband existieren. Ich habe das Gefühl, dass sich das wirklich gut vereinen lässt.“8 Und ein anderer Student stellte aus der Ensemblearbeit heraus fest, „dass ich noch viel mehr draufhabe als ich dachte. Was kann ich an Konzepten einbringen? Und wie kann ich diese durchsetzen? Wie läuft mein Nachdenken über die Konzeptideen der anderen? Das wusste ich vorher nicht. Darüber hatte ich nie nachgedacht.“9
Julia Kiesler geht in ihrer Arbeit mitunter noch einen Schritt weiter. Die Praktik des chorischen Sprechens schärft die Wahrnehmungsfähigkeit sowie die Fähigkeit zuzuhören, macht das Spannungsverhältnis von Führen und Geführt-werden erfahrbar, eröffnet Perspektivwechsel und trainiert sowohl die eigene als auch die gemeinsame Reaktions- und Impulsfähigkeit einer Gruppe. Die künstlerische Methode stärkt das Wir-Gefühl eines Teams, indem es, einem gemeinsamen Sinn folgend, einen gleichen Rhythmus sucht.10
Die Schlussrechnung ist sehr einfach: Gute Fachausbildung + moderne Arbeitsbedingungen und -strukturen + nachhaltig verankerte Kompetenzen in Kommunikation und Selbstwirksamkeit = hohe Effizienz der Arbeit.
Letzten Endes ist das Ziel jeder Tätigkeit, dass es mir und anderen Menschen nach getaner Arbeit besser geht. Ich sollte in der Lage sein, mich von anderen entzünden zu lassen und ich sollte auch meine Kollegen mit meinen Ideen entzünden können. «Unser Beruf baut auf gemeinsame Begeisterung und die Kraft, die wir uns gegenseitig geben können. Begeisterung. Ist das ein schwammiger Begriff? Nein. Begeisterung bedeutet, etwas als sinnvoll zu erachten und lösungsorientiert arbeiten zu können. Begeisterung ist lern- und lehrbar und keine Charaktereigenschaft. Und wir wissen, dass Begeisterung ansteckend sein kann.»11
David Foster Wallace hat einen wunderbaren kleinen Aufsatz geschrieben. »Der Spass an der Sache»12. Wie dem Autor in diesem Aufsatz geht es vielen von uns. Wir laufen mit Ideen und Konzepten in dunklen Aktenkoffern herum oder verstecken sie auf dem Grunde von möglichst weit unten liegenden Schubladen, weil wir im Herzen an diese Ideen glauben, mit ihnen aber nicht weiterkommen, sie aber auch nicht in den Papierkorb schmeissen können. Wir wollen, dass sie auch in ihrer Unvollkommenheit von anderen gemocht werden und wünschen uns nichts mehr, als eine gemeinsame Arbeit an diesen hoffnungsvollen kleinen Monstern, die uns nicht loslassen wollen.
Wir hatten einige Erfolge, mit denen wir auch Herzen und Hirne von Menschen gewinnen konnten, die wir gar nicht kennen und das wollen wir unbedingt wieder erleben. Unbedingt! Es ist wie ein Zwang. Und darüber haben wir manchmal die spielerische Lust am Entwickeln verloren. Aber gerade dieser spielerische Aspekt könnte uns zu uns selbst zurückführen. Mit einer solchen spielerischen Lust könnten wir unsere Ideen aus der untersten Schublade herausholen und mit den Leuten diskutieren, denen es wahrscheinlich ebenso geht wie uns selbst. Die Folge wäre, dass wir ganz bei uns sind und bereit, zusammenkommen zu können. Wenn wir uns dann auch noch einander zuhören, wenn wir das Vertrauen und die Kompetenzen dazu hätten, könnte etwas entstehen, wonach wir uns alle täglich sehnen. Gemeinsamer Erfolg am Ende eines gemeinsamen Weges. Das ist der Spass an der Sache.
1Eine Schule, die sich gerne neu erfindet – immer wieder, in Wer bin ich, wenn ich spiele, Frank Schubert / Martin Wigger (Hsg.), Verlag Theater der Zeit, 2021, S. 51
2Vergleiche auch: https://www.weltderwunder.de/schwarmintelligenz-gebundelte-krafte-im-uberlebenskampf/
3Johann Wolfgang von Goethe: Faust - Der Tragödie erster Teil. Tübingen: Cotta. 1808, Seite 34
4Ludwig Erhard: Wohlstand für alle, EconVerlag, Düsseldorf 1957
5Vergleiche: https://t3n.de/magazin/new-work-urvater-frithjof-bergmann-alte-mann-mehr-247621/
6ebenda
75 DEZI – Tabea Buser im Gespräch über ihr Master-Abschlussprojekt, in Wer bin ich, wenn ich spiele, Frank Schubert / Martin Wigger (Hsg.), Verlag Theater der Zeit, 2021, S. 195
8Es wird alles gross sein auf der Bühne, in Wer bin ich, wenn ich spiele, Frank Schubert / Martin Wigger (Hsg.), Verlag Theater der Zeit, 2021, S. 134 ebenda
9Auf diese und weiterführende Aspekte geht Julia Kiesler in ihrer Dissertation ausführlich ein: Julia Kiesler, Der performative Umgang mit dem Text, Verlag Theater der Zeit, 2019
10Frank Schubert, Fassungslos, in Wer bin ich, wenn ich spiele, Frank Schubert / Martin Wigger (Hsg.), Verlag Theater der Zeit, 2021, S. 26
12Siehe Der Spass an der Sache, in Der Spass an der Sache, David Foster Wallace, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, 2018, S. 340 ff